Ihre Geburtsstunde schlug an einem Sonntag im Oktober 1962. Man könnte jetzt denken, ein Sonntagskind, das viel Glück im Leben haben würde, aber das hat sich viele Jahre in ihrem Leben nicht bewahrheitet. Um sie zuordnen zu können, gab man ihr den Namen Ulrike Alexandra. Ulrikes Mutter ging dem Geschäft der „käuflichen Liebe“ nach und ihre Geburt war eher ein Betriebsunfall als ein Wunsch. Auf diese Weise brach­te ihre Mutter acht Kinder zur Welt. Sie war das Sechste in der Geburtenfolge. Es gab kein „Hurrageschrei“ und ihre Wiege stand nicht an der Seite einer glücklichen Mutti. Bis auf den Erstgeborenen gab ihre Mutter alle ihre Kinde zur Adoption frei.

 Ihr Vater, ein in Deutschland stationierter US-Soldat, interessierte Ulrikes Wenigkeit überhaupt nicht und flog, ohne jegliche Verpflichtung für     Ulrike zu übernehmen, zurück in die Staaten.

 Nach ihrem Aufenthalt in der Geburtsklinik wurde sie direkt in ein katholisches Kinderheim nach Eschenbach gebracht. Dort verbrachte Ulrike die ersten 18 Monate ihres Lebens, bis sie im Juni 1964 von dem Ehepaar Gradl adoptiert wurde.

 Ihre Adoptivmutter war in zweiter Ehe mit Rudolf Gradl verheiratet, der aus Eschenbach stammte, ein kleinbürgerliches 4000 Seelendorf in  der Oberpfalz. Ihrer Adoptivmutter war dieses Provinznest auf die Dauer zu langweilig und die Ehe mit Rudolf war auch nicht ihre Erfüllung. Noch im selben Jahr zog sie mit Ulrike wieder zurück in ihre Geburtsstadt Berlin. Im November 1965 wurde ihre kurze Ehe mit Rudolf Gradl geschieden und gehörte somit der Vergangenheit an.

 Im Januar 1967 wurde der Adoptivvertrag mit ihrem Adoptivvater aufgehoben und ihre Adoptivmutter bekam das alleinige Sorgerecht für Ulrike. Ulrike behielt den Namen Gradl und ihre Adoptivmutter nahm wieder ihren Mädchennamen Naulin an.

 Das Leben ihrer (adoptiv) Mutter Margret gestaltete sich ziemlich anstrengend, weil sie viel Zeit und Mühe damit verbrachte, einen neuen Lebenspartner und Vater für Ulrike zu finden. Durch ihre Suche nach Sicherheit war ihr Leben sehr unbeständig. Sie arbeitete abwechselnd in ihrem gelernten Beruf als Schneiderin oder als Kell­nerin. Dadurch wechselte sie häufig ihre Arbeitsstellen und ebenso oft die Wohnungen.

Anfang 1968 bot sich für Ulrikes Mutter die Möglichkeit, eine Kneipe in der Rudower Straße zu pachten. Sie überlegte nicht lange und nutzte die Chance, sich selbstständig zu machen. Um die Miete für die Wohnung einzusparen, nutzte sie den Vereinsraum der Kneipe als Wohn- und Schlafraum. Er war spartanisch mit einem Klappbett, einem Tisch und ein paar Stühlen eingerichtet. Dieser Ort, wo es laut war, nach abge - standenem Bier und Zigarettenqualm stank, wurde für die nächsten Jahre Ulrikes Zuhause. Es begleitete sie immer ein beklemmendes

Gefühl, wenn sie durch den Gastraum ging,  um zur Küche oder zur Toilette zu gelangen. In jener Zeit entwickelte sich ihre Abneigung gegen Alkohol und alkoholisierte Menschen. Ihr größter Widerwille aber war, wenn männliche Gäste versuchten sie anzutatschen oder noch schlimmer, sie in den Arm zu nehmen. Es gab einen Vorfall, bei dem ein Gast versuchte, sie mit aller Gewalt an sich zu ziehen.

         In ihrer Panik biss sie ihm kräftig in die Hand. Ab diesem Zeitpunkt ließen sie die Männer in der Gastwirtschaft in Ruhe.

Sie war wie alle Kinder neugierig und von allem Neuem schnell begeistert. Ohne Angst und auf sich allein gestellt, stromerte Ulrike viel in der Gegend umher. Die gepflegten Gärten der Nachbarn blieben nicht verschont vor ihr und vor lauter Langeweile stellte sie die verrücktesten Sachen an. Ihre Lieblingsbeschäftigung war alles Mögliche, was sie auf der Straße fand, einzusammeln. Einen herrenlosen Hund, Stöcke, die natürlich immer Wünschelruten waren, Steine, die ihr „besonders wertvoll“ erschienen. Einen alten Teppich oder einen kleinen Hocker.  Alles, was sie in ihrer kindlichen Welt für wertvoll hielt, nahm sie an sich und brachte es mit nachhause. Ihre Mutter war überhaupt nicht begeistert von dem „Mist“, den Ulrike anschleppte, und beförderte ihn, zu ihrem Entsetzen, postwendend in die Mülltonne.

Einmal hatte sie sich in ein Autowrack gesetzt, das vor der Einfahrt eines Schrottplatzes stand. In ihrer Fantasie bildete sie sich ein, sie würde ein großes Autorennen fahren. Sie gab anständig „Gas“, löste die Handbremse und bearbeitete alle Pedale, die ihr zur Verfügung standen.

Zu ihrem Schreck setze sich der Wagen wirklich in Bewegung und kam mitten auf der Hauptverkehrsstraße zum Stehen.

Der fließende Verkehr wurde blockiert und es entstand ein mittleres Chaos, das sich aber durch die Hilfe einiger Passanten schnell wieder auflöste. Bei allem Unfug, den sie getrieben hat, ist ihr nie wirklich etwas Ernsthaftes zugestoßen. Der einzige Nachteil war, dass sie in der Nachbarschaft nicht als nettes Mädchen verschrien war. Aber ein nettes Mädchen zu sein, war nicht wirklich ihr Ding.

Zwischenzeitlich verliebte sich ihre Mutter in einen Mann, der Stammgast in ihrer Kneipe war. Er hieß Günther M., war verheiratet und Vater von drei Söhnen. Günther war ein großer, dunkelhaariger, ruhiger Mann mit Vollbart und dunklen Augen, ein totaler Frauentyp. Er war sehr autoritär und Ulrike hatte Angst vor ihm. Er war kein treuer Mann und sein Problem war, der Umgang mit Alkohol. Ihrer Mutter störte das nicht weiter oder besser gesagt, sie wollte es nicht wahrhaben und verschloss ihre Augen davor. Sie lag ihrem Günther zu Füßen und es dauerte auch nicht lange, da war sie mit ihm verheiratet.