Bernhard Ka
... denn die Freiheit ist unser Ziel
Eine autobiografische Dokumentation eines Gründungsmitglied des
proletarischen Lehrlingstheaters Rote Steine Berlin
über die Ereignisse zwischen 1969-74
Vorwort
Ich habe mich entschlossen dieses Buch zu schreiben, um die Dinge mal aus meiner Sicht darzulegen. Es wurde viel über die Roten Steine geschrieben, meistens im Zusammenhang mit Ton Steine Scherben, es wurde aber immer objektiv geschrieben. Kein Mitglied der Gruppe hat sich je ausführlich schriftlich zu dieser Zeit geäußert. Dieses ist der Versuch, die Ereignisse subjektiv zu schildern. Das Buch soll auch dazu anregen, das Medium Theater, speziell Straßentheater, wieder neu zu entdecken. Es bietet heute sowie damals die Möglichkeit, durch das Rollenspiel mit Jugendlichen in Kontakt zu kommen, um über die Probleme die sie in der Schule, auf der Arbeit und Zuhause haben zu reden, und nach geeigneten Lösungen zu suchen. Gerade in der heutigen Zeit, wo Jugendliche immer mehr vereinsamen und meistens nur noch durch gewalttätige Computerspiele und SMS kommunizieren, ist es wichtiger denn je, das Medium Theater neu zu beleben, um eine wirksame Jugendarbeit zu leisten. Es ist auch die Aufarbeitung eines Teils meines Lebens, denn je älter ich werde, umso mehr verblassen die Erinnerungen an die Geschehnisse. Es sei mir deshalb verziehen, wenn die eine oder andere Schilderung zeitlich oder im Ablauf nicht ganz korrekt ist. Ich habe sehr viel erlebt in meinem Leben und es ist nicht einfach, nach all den Jahren alles präzise nachvollziehen zu können. Schwerpunkt dieses Buches, wird die Zeit zwischen 1969-74 sein. Zu Beginn werde ich ein wenig über meine Kindheit schreiben, zum besseren Verstehen meiner Person. Es wird sich der Eine oder Andere bestimmt wieder erkennen, und wenn damals Situationen als ziemlich Ernst empfunden wurden, so sollte man heute darüber lachen, in diesem Sinne viel Spaß beim Lesen.
Hoffmanns Comic Teater kommt
Wir waren jetzt zwischen 16 und 18 Jahre alt, wohnten immer noch zu Hause und gingen alle einer Beschäftigung nach. Raymond war Steinsetzerlehrling, Bonner und ich, wie schon erwähnt, machten eine Ausbildung als Betonbauer, Leppi war ungelernt und arbeitete als Lkw Fahrer, Jako lernte Speditionskaufmann. Die Jobs waren zwar nicht unsere Erfüllung, brachten aber regelmäßig etwas Geld in unsere chronisch leeren Portemonnaies.
Es war im November 69, die Rolling Stones hatten ihre LP "Let it Bleed" veröffentlicht, wir hangen mal wieder ziemlich gelangweilt im Jugendheim herum, als angekündigt wurde, das die Theatergruppe HOFFMANS COMIC TEATER bei uns im Freizeitheim mit ihrem Stück „Rita und Paul“ auftreten würden. Die Sache sollte am nächsten Abend im großen Raum, wo wir sonst unsere Disco am Wochenende hatten, starten. Gespannt warteten wir am folgenden Abend auf ihren Auftritt, es hatte sich nämlich herumgesprochen, dass auch eine Rockband mit auftreten sollte.
Der damalige Heimleiter Jürgen R. war zu dieser Zeit schon ziemlich progressiv eingestellt und versuchte uns Jugendliche ein gewisses Bewusstsein zu vermitteln. Ich glaube ihm hat es das H. C. T. zu verdanken, dass sie in unser Jugendheim hereingekommen sind. Nun, Bands hatten schon oft bei uns gespielt, das war erstmal nichts Besonderes, aber gemischt mit Theaterszenen, das war neu für uns und wir waren gespannt, was uns da geboten werden sollte.
Als die Truppe den Saal betrat, war ich etwas baff. Als Erstes fiel mir der Typ im langen grauen Flanellmantel auf. Dünn wie ein Spargel, lange dunkle, ungekämmte Haare, Hakennase in einem ungepflegten, pickligen Gesicht und zwei große Augen, die so weit herausstanden, dass man ohne Weiteres zwei Schnapsgläser hätte darauf stellen können (Ralf M. später Rio Reiser). Als Nächstes kam ein Typ in mein Blickfeld, der eine Uniformjacke anhatte und eine Kapitänsmütze auf dem Kopf trug, worunter lange schwarze Haare hervorguckten (Ralf P. Steitz, genannt Fifi, später Lanrue). Er sah aus wie eine Kopie vom Cover der Beatlesplatte "Stg. Pepper’s Lonely Heart Club Band".
Als Nächstes fiel mir ein blonder, langhaariger Typ auf, mit einer langen Jacke und einem weißen Schal bekleidet, der immer schüchtern lächelte, wenn man ihn ansprach (Kai S.). Er hatte diesen Schlafzimmerblick, als ob er geradewegs aus dem Bett gekommen wäre. Dann war da noch ein Typ mit brauner Lederjacke, der die Fähigkeit besaß mit einem Auge zu klauen, und mit dem anderen aufpasste, ob die Polizei kommt. Der rannte aufgeregt wie Falschgeld herum und schien irgendwie der Manager zu sein (Gert M.). Als Nächstes fiel mir ein hagerer, hochgewachsener Mann mit dunklem Kinn- und Oberlippenbart auf (Dietmar R.). Übrig blieb noch ein etwas älterer Herr mit zerbeultem Hut auf dem Kopf und Pfeife im Mund, der den Aufbau organisierte, das musste wohl der Chef vom Ganzen gewesen sein, und wenn ich mich recht erinnere, war noch eine Frau mit dunklen langen Haaren anwesend. Sie sah aus wie die Frau vom Chef (Sybille M.). Mein Gesamteindruck von der Gruppe war, dass sie etwas heruntergekommen, eher arm, aussahen, hatten aber irgendwie Charisma, was ich so in dieser Mischung noch nicht kennengelernt hatte und mich seltsam faszinierte. Sie stülpten sich große skurrile Masken über und fingen an uns ihr Theaterstück, Rita und Paul, vorzuspielen, dass von einer Fabrikantentochter und einen Arbeitersohn handelte, die nicht zusammen kommen konnten, weil die Eltern wegen des zu großen gesellschaftlichen Unterschieds dagegen waren. Am Ende des Stückes ist der Paul ausgeflippt und hatte alles kaputt geschlagen. Paul, das war in diesem Fall Rio, hatte sich dann die Gitarre um den Hals gehängt und mit zwei anderen Mitspielern angefangen, Lanrue Schlagzeug, Kai Bass, den Song "Macht kaputt was euch kaputt" macht zu spielen.
Wauh, das hatte gesessen. Die Band spielte harten und lauten Rock, was mich sehr beeindruckte. Vor allen Dingen der Sänger, er hatte eine total starke Stimme, die man diesem Furz im Wind überhaupt nicht zugetraut hätte. Seine kräftige, laute Stimme übertönte fast die Instrumente. Ich war fasziniert von ihm. Für mich und meine Kumpels war das Stück nicht ganz nachvollziehbar, weil wir eher nicht das Glück hatten, hier im Kreuzberger Kiez eine Fabrikantentochter kennenzulernen, geschweige, denn mit ihr ins Bett zu gehen, was zwar schade, aber nicht zu ändern war. Ich kann mich heute nicht mehr an die einzelnen Szenen erinnern, aber eins wird mir immer in Erinnerung bleiben, nämlich, als ich das erste Mal das Lied "Macht kaputt was euch kaputt macht" hörte.
Es löste in mir das Gefühl aus, etwas für mich zu tun, ich wusste nicht genau was, ich fühlte nur hier kam etwas Neues auf mich zu und ich war bereit es auf mich zukommen zu lassen. Ich spürte ein starkes Signal in mir, ein Signal, auf das ich schon so lange gewartet hatte. Ich wollte irgendwie raus, raus aus meinem eingeschränkten Leben. Die Musik hatte mich gleich angesprochen, obwohl der Text auf Deutsch gesungen wurde, das war etwas Neues, deutscher Rock. Ich fing an, mich für diese Leute zu interessieren.